Research Architecture

veröffentlicht in: Arch Plus 178; Juni 2006

 

Wir müssen uns eingestehen, dass die Architekturszene von einem Gefühl der Langeweile befangen ist. Wo alle Häuser gebaut wurden, die wir auf absehbare Zeit benötigen, wo mit allen Formen schon gespielt wurde, die sich der Architekt ausdenken kann, wo jedes herstellbare Material schon irgendwie seine Anwendung in Gebäuden gefunden hat, und sei sie noch so absurd, hat unter einem neo-liberalen Drang unermüdlicher Erneuerung, die in eine strukturelle Eintönigkeit abzugleiten droht, ein Formalismus der Verzweifelung bedrohliche Ausmaße angenommen. Es stellt sich die Frage, ob eine Lehre und Forschung der Architektur nicht grundsätzlich andere Strategien einschlagen muss, wenn diese Disziplin noch irgendwie ernst genommen werden möchte. Auch nach der x-ten Meisterklasse eines ‚Star-Architekten’ mit immer professionelleren, gemorphten Formen, bedarf es beständig mehr Wohlwollen, den in diesem Kontext entstandenen Arbeiten, eine Relevanz zuzusprechen. Auch wenn der Bauboom in China und Dubai noch ein Bedarfsdruck vorgaukelt, der jedoch immer stärker wie eine Fatahmorgana der 90er Jahre scheint, gilt es zu resümieren, dass sich dieses Verständnis von Architektur erschöpft hat.

 

Architektur ist eine Disziplin, die sich aktuellen Problemen stellt. Sie besitzt das Instrumentarium, um gesellschaftliche, politische, soziale und ästhetische Situationen zu bewerten und Konsequenzen vorzuschlagen. Dass nach der Wiedervereinigung, zu einer Zeit, in der sich die wesentlichsten Prozesse der Bundesrepublik seit ihrer Gründung abspielten, die Architekten der werdenden Hauptstadt über Fensterdetails und Fassadenaufteilungen diskutierten, zeigt in einer erschreckenden Weise, nicht nur die Ignoranz der architektonischen Disziplin, sondern auch die Verantwortungslosigkeit der Architekten. Im Angesicht fundamentaler Veränderungen des Staates und der Öffentlichkeit, flüchteten sie lieber in eine Belanglosigkeit. Wenn Politik sich im Räumlichen abspielt, wenn die Ausübung von gesellschaftlich relevanten Prozessen Veränderungen in der (urbanen) Landschaft hinterlässt, ist dann nicht die Disziplin der Architektur in einer privilegierten Situation, diese Veränderungen und Konsequenzen eines gesellschaftspolitischen Handelns beschreiben und analysieren zu können? Besitzt die Architektur nicht jene Werkzeuge und Herangehensweisen, um solche Entwicklungen präziser beobachten zu können, und Möglichkeiten der Reaktion aufzuzeigen?

 

Diese, und ähnliche Fragestellungen durchzieht das neu geschaffene‚ Center for Research Architecture, ein Master- und PhD-Programm, das von Eyal Weizman am Goldsmiths College der University of London gegründet wurde. Weizman – Architekt, Kurator und Autor – zeigte mit seiner eigenen Arbeit zum Israelisch-Palästinensischen Konflikt das architektonische und raumplanerische Eingriffe kriegerische Akte sein können, und dass der architektonischen Disziplin eine besondere Verantwortung in der Beschreibung unseres Umfelds und der Reaktion auf Veränderungen obliegt.

 

‚Research Architecture’ begreift sich als Labor und Wissenschaftskolleg im genannten Sinne und verfolgt einen, von einer Praxis getrieben Forschungsansatz, der den Anspruch stellt dass eine praktizierte Raumgestaltung Forschung sein kann. Architektur wird in einer erweiterten Bedeutung verstanden, und ist das Objekt der Forschung sowie gleichzeitig die Methodik der Analyse und Herangehensweise. Architektur hat sich in der letzten Zeit, gerade in Reaktion auf die anfangs aufgezeichnete Ermattung, von einer, nur auf Produktion und Formgebung ausgerichteten Disziplin, zu einer reflexiven und analytischen Diskursplattform gewandelt, die sich mit sozialen und kulturellen Aspekten auseinandersetzt. Das Programm bringt eine Gruppe von Architekten, Filmemacher, Kuratoren und andere  Kulturschaffende aus der ganzen Welt zusammen, um an einer erweiterten Auffassung von Architektur zu arbeiten, die sich mit Fragen von Politik, Konflikt, Menschenrechte und Gesellschaft beschäftigt. Die Teilnehmer, darunter Florian Schneider, Medienkünstler, sowie Gründer der Initiative ‚Kein Mensch ist Illegal’, Anselm Franke, Kurator an den Berliner Kunstwerke, Pip Day, Kuratorin in Mexico City, Joseph Grima, Mitherausgeber von Domus in Mailand, oder Francesca Ferguson als Kuratorin und Leiterin des  Basler Architekturmuseums verdeutlichen eine Vielschichtigkeit, die sich auch in den unterschiedlichen Arbeitsweisen und –Techniken niederschlägt. Es ist gerade diese Vielschichtigkeit, die den Diskussionen zwischen den Teilnehmern und Gastrednern des Programms eine hohe Qualität und Präzision gibt. (habs etwas gekürzt, möchte ich gerne behalten)

 

Das besondere Prinzip des Programms ist die Intensität des Gesprächs, als Streitgespräch zwischen praktizierenden Kräften, die in der Struktur einer Tagung ihre Arbeit vorstellen und bereit sind, sich der Kritik zu stellen. Diese ‚Seminare’ finden regelmäßig in London am Goldsmiths College statt, werden aber zuweilen an Konferenzen oder aktuelle Veranstaltungen, etwa die Istanbul Biennale oder eine Konferenz über extraterritoriale Räume in Barcelona, im Herbst letzten Jahres, geknüpft.

Jedes Seminar setzt sich aus Präsentationen eines Gastredners und Arbeiten der Teilnehmer zusammen. Die Studienarbeiten lassen sich grob in drei Themengruppen einteilen. Eine Gruppe von Arbeiten geht der Frage nach dem Raum zwischen Kunst und Architektur nach, so zum Beispiel Shuman Bazar, mit seiner Ausstellung ob Gebäude kuratieren können, die unter anderem in der Storefront Gallery in New York gezeigt wurde, oder der mit ihm an der Architectural Association lehrende Markus Miessen mit seiner Arbeit über die Europäische Kunsthalle. Celine Condorellis Projekt ‚support structures’, das Architektur als Unterstützer und Hilfskonstruktion für Künstler auffasst ist derzeit an der Tate in London zu sehen. Andere Arbeiten beschäftigen sich mit dem Themenkomplex der Migration: Die Künstlerin und Filmemacherin Angela Melitopulous beschreibt mit ihrer Arbeit die Migrationsbewegung entlang eines Europäischen Korridors von Klein-Asien nach Deutschland. Mit dem Konzept der ‚Balkanisierung’ als Ordnungsstruktur beschäftigt sich die Arbeit des in Pennsylvania lehrenden Architekt Srdjan Jovanovic Weiss. Die Künstlerin Ursula Biemann stellt Warenströme in Bezug zu den Wanderungsbewegungen der Menschen, beispielsweise solche, die im Rahmen der Erdölförderung im Schwarzmeer entstanden sind.

Schließlich gibt es eine Gruppe von Arbeiten, die sich mit Räumen der Krisen auseinandersetzt: Der am ETH Studio Basel lehrende Architekt John Palmesino arbeitet mit dem Konzept der Neutralität, das beispielsweise in Puffer- und Sicherheitszonen zur Anwendung kommt. Der Israelische Dokumentarfilmemacher Eyal Sivan, thematisiert das Konzept des ‚Zeugen’ im Kontext von Terror und Verbrechen. Der Autor dieses Textes, arbeitet über die Räume der humanitären Hilfe und Raj Rana untersucht die internationalen Strukturen von Hilfsorganisationen.

 

Von einer über die einzelnen Arbeiten hinausgehenden Relevanz ist die gegenseitige Beteiligung der Teilnehmer an Projekten. Durch ein detailliertes Engagement bei den Projektpräsentationen während der Veranstaltungen und eine daraus resultierende gute Kenntnis und Wertschätzung der jeweiligen Arbeiten, beziehen sich die Mitglieder des Zentrums in weitere Projekte ein, seien es Ausstellungen die gerade kuratiert werden, Publikationen, oder Symposien, die die Teilnehmer organisieren. Es war sicherlich eines der zentralen Ziele von Eyal Weizman bei der Konzeption des Programms, dass sich aus einer sonst distanzierten gegenseitigen Betrachtung, ein intensives Erarbeiten von Projekten und ein Fundus an gemeinsamen Material und Wissen entwickelt. (möchte ich gerne behalten) Angestoßen wurde Research Architecture von Irit Rogoff, Professorin für Visual Cultures, die als Grande Dame dem Projekt innerhalb der Universität eine Deckung verschafft hat, und somit dem Kreis der ausgewählten Teilnehmer eine in Europa sicherlich einzigartige Art des Austausches ermöglicht.

 

Manuel Herz