Säuberungskommandos

 

Erschienen in: Baumeister, Nr. 3 - 2012

unter dem Titel: "Solider Durchschnitt statt Experiment?"

 

In den letzten Wochen konnte man in der deutschen Wettbewerbs-Landschaft eine sehr aufschlussreiche (wenn auch leicht absurd anmutende) Entscheidung beobachten. Ein Leipziger Architekturbüro hatte kurz hintereinander zwei Wettbewerbe für Schulen mit einem (beinahe) identischen Entwurf gewonnen. Der, bzw. die Wettbewerbsbeiträge zeichnen sich durch eine zurückhaltende, einfache, brav und relativ konventionell anmutende Architektur aus. Auch wenn man dem Büro für sein ’effizientes’ Arbeiten gratulieren möchte, scheint dieser Vorgang den derzeitigen Zustand deutscher Architektur zu versinnbildlichen, dem es vor allem und Vorhersehbarkeit und Einfachheit – man könnte auch sagen: Einfältigkeit – geht.

Die Zeigefingerhebenden Mahnungen kennt man zu genüge: Unsere Städte dürfen nicht zu Vergnügungsparks verkommen. Sie dürfen nicht zum Spielball eitler Architektenstars werden, die nur im Sinn haben, sich ein Denkmal stellen zu wollen. Es spricht aus einem gewissen Trotz (oder Neid?) heraus, dass die Zeit der „Star-Architekten“ doch bitte langsam vorbei sein, und man sich jetzt den „wahren Werten“ wieder zuwenden müsse. Nichts ist einfacher, als auf die angeblichen Verirrungen der 80er und 90er Jahre zu zeigen, als Architektur expressiv, manchmal schreiend, häufig spielerisch, und bisweilen auch geschmacklos war. Man behauptet, dass die Baubranche von den Experimenten der Architekten überfordert ist, und zeigt mit Entsetzen und kaum verdeckter Häme auf Hamburg. Und es mag eine Rolle spielen, dass wir uns derzeit in einer ökonomisch angespannten Situation befinden. „Da müssen alle den Gürtel enger schnallen“. Eine zurückhaltende, einfache Architektur setzt sich nicht der Kritik aus, über die Stränge zu schlagen.

 

So kristallisiert sich derzeit eine Architektur heraus, die für eine Zurückhaltung, eine einfache, möglichst einheitliche Architektur, und für den Einsatz klarer, strenger Formen plädiert, nach dem Motto: „Lieber ein guter Durchschnitt, als gescheiterte Experimente.“ Mit einer ruhigen, sittlichen Architektur sollen die angeblichen Eskapaden der zurückliegenden Jahre repariert  werden und eine unaufgeregte Stadt entstehen, die sich möglichst im Hintergrund hält. Die Argumente klingen überzeugend, denn gegen Sparsamkeit der Mittel und der ach so guten Tugend der Bescheidenheit ist wenig einzuwenden.

Dennoch müssen wir hinterfragen ob der Ruf nach Ruhe wirklich ein Rezept für bessere, geschmackvollere Architektur oder anmutende Städte ist. Entstehen unter dem Banner einer neuen Einfachheit nicht in Wirklichkeit Städte von Einfalt und einer kaum zu überbietenden Kritik- und Inspirationslosigkeit?

Architektur muss mehr können als nur einer schablonenhaften Flächenproduktion mit ruhiger Außenwirkung. Architektur hat eine gesellschaftliche, soziale, ästhetische und manchmal sogar politische Aufgabe. Wenn gepredigt wird, dass Architektur ruhig zu sein hat, dann raubt man ihr ein Potential diese Aspekte darzustellen. Man raubt ihr aufklärerische Aufgaben. Aus einer Architektur der Ruhe wird eine ruhig-gestellte Architektur, eine entmündigte Architektur. Dass Architekten in diesen Kanon mit einstimmen, zeigt die Narrenrolle, die wir einnehmen. Wie grandiose Tölpel nicken wir eifrig, wenn der Bauherr von uns einfache Fassade und bewährte Grundrisse abverlangt. Alles im Geiste einer ‚Ruhigen Architektur’.

 

Die gebaute Stadt ist immer der physische Ausdruck einer Generation. Sie ist Ausdruck des Willen - oder Unwillen - diese gebaute Umwelt zu prägen. Wenn wir nach einer Architektur der ‚Ruhe’ rufen, ist auch das natürlich ein Ausdruck einer Generation. Jedoch ist es der Wunsch nach Neutralität, nach einer architektonischen ‚Unbeteiligtheit’. Machtstrukturen bleiben unsichtbar, kulturelle und soziale Ansprüche finden keinen Ausdruck und werden nicht mehr wahrgenommen. Am Ende ist es eine Sedierung der Architektur, die ihre gesellschaftspolitischen Aufgaben nicht mehr wahrnehmen möchte.

 

Architekten und Theoretiker ignorieren zudem, dass Ruhe kein Rezept für bessere Architektur, oder anmutendere Städte ist. Gerade weil unter dem Banner der Ruhe die einfachste, aber auch die banalste Architektur argumentiert und ausgeführt werden kann, erlaubt es auch dem weniger talentierten Architekten seine Realisierung, und dem kommerziellsten Investor sein Bürokomplex. Natürlich wollen wir nicht unsere Städte zu Vergnügungsparks oder einer endlosen Aneinanderreihung architektonischer Rülpser verkommen lassen. Aber ist es nicht bezeichnend, dass gerade jener Ort, der am stärksten einem Diktat einer steinernen, strengen Einheitlichkeit unterworfen war – Berlins Friedrichstrasse und der Pariser Platz – heute recht deutlich an Kulissenarchitektur und Jahrmarkt erinnert?

 

Wir müssen uns Fragen, ob der Ruf nach Einfachheit nicht in Wirklichkeit ein Deckmantel für Faulheit ist, über den sich alle freuen. Die Architekten freuen sich, da sich das Entwerfen auf Schablonen reduziert, unter dem Banner von ‚klaren Strukturen’ und einer ‚wohl-proportionierten Fassade’ eine beispielslose Banalisierung stattgefunden hat und ohnehin der gleiche Entwurf mehrmals ausgeführt werden kann. Investoren freuen sich, da Architekten endlich ihre Rolle als reine Ausführungsgehilfen für angeblich gut verwertbare Immobilien gefunden haben, die dem Nutzer kein Mitdenken abfordert. Stadtplanungsämter freuen sich, da sich die Investoren freuen. Und wenn das ganze dann auch noch durch Architekturkritiker theoretisch erklärt wird, sind alle am Bau beteiligten zufrieden. Und keiner hat gemerkt, dass eine ganze Disziplin gerade ihren eigenen Bankrott erklärt hat.

 

Doch tragischerweise scheinen die nach Ruhe mahnenden Stimmen in Deutschland ohnehin schon gewonnen zu haben. Wie ein Säuberungskommando sitzen sie in den Wettbewerbsjurys, Planungsämtern und Gestaltungsbeiräten. Die praktizierte Architektur wurde in den letzten Jahren von außergewöhnlicher Architektur bereinigt. Deutschland hat sich aus dem zeitgenössischen Architekturdiskurs weitestgehend verabschiedet. Global gesehen spielen die architektonischen Beiträge der hiesigen Büros eine sehr untergeordnete Rolle. Neue und interessante Anstöße sind nicht wahrzunehmen. Büros aus Ländern wie die Schweiz, Dänemark, den Niederlanden, Japan und vermehrt auch China liefern weitaus substantiellere Beträge zu aktuellen Aufgaben. Obliegt uns als viertgrößte Wirtschaftsmacht der Welt nicht auch eine gewisse Verantwortung, dass zeitgenössische Tendenzen der Architektur auch hierzulande entstehen? Schlafe ruhig, biederes Deutschland.